Lucky Kalle und die fliegenden Radmuttern
Manchmal kommt man mit Verstand einfach nicht weiter. Das mussten wir vor fünf Jahren auf einer Oldtimertour durch Kärnten erleben und erfahren. An sich lebensfrohe Menschen können im hohen Alter, also 80 plus, noch halsstarrig werden. Auch wenn es um die eigene Sicherheit geht. Kalle brachte uns dabei an den Rand des Wahnsinns und (fast) zum Verzweifeln. Doch der Reihe nach.

Und es war Sommer, um einmal Peter Maffay zu zitieren, dort, wo Kärnten ganz besonders liebreizend ist. Quartier direkt am Faaker See. Die erste Ausfahrt der Oldtimerwoche dort führte zum Ossiacher See, hoch in die Gurktaler Alpen und über Hochrindl zur berühmten Nockalmstraße. Die Sonne strahlte, die Cabrios versteckten ihre Verdecke, die Straßen waren leergefegt – Oldtimerherz, was willst du mehr? Ein wenig, Action, ein bischen Aufregung oder einfach etwas Drama? Am besten von allem etwas.

„Der Karman hat ein Rad verloren!“
Im Grundtal war es dann soweit. Wolfgang aus dem Servicewagen, der immer am Ende der Gruppe fährt, griff zum Funkgerät. „Hallo Udo. Wir kommen wahrscheinlich später zur Mittagspause. Der Karman Ghia von Kalle hat ein Rad verloren. Ich kümmere mich. Macht euch kein Sorgen“, meldete Wolfgang mit seiner ihm in diesen unvorhersehbaren Situationen eigenen unerschütterlichen Souveränität. Bei mir schnellte der Puls in die Höhe und Fragen über Fragen gingen mir blitzend durch den Kopf: Ist Kalle nichts passiert? Wie kriegen wir den Karman Ghia von der Nockalmstraße runter? Brauchen wir die Gelben Engel? Wo ist das Rad? Kriegt Wolfgang das wirklich hin? Nun ja, in weniger als einer Sekunde wurde aus wohliger Entspannung die höchste Anspannung. Okay, bleib ganz ruhig und führe die Gruppe jetzt erst einmal wie geplant zur Mittagsrast nach Gmünd.

Die Zeit verging. Keine neuen Infos von Wolfgang oder Beate, die wie fast immer ihrem Gatten mit Rat und Tat im Servicewagen zur Seite steht. Ankunft in Gmünd. Wir parken unsere historischen Schätzchen vor dem Porschemuseum und schlendern in die nahe gelegene Altstadt zum Mittagessen. Die Gäste wissen ja noch nichts vom verlorenen Rad des Karmans. Als alle Platz genommen haben informiere ich die Gruppe. „Sowas hatten wir ja noch nie. Aber Wolfgang kriegt das schon hin. Hoffentlich ist Kalle okay“, so die Kommentare. Und dann klingelt mein Handy. Im Display erscheint die Meldung „Wolfgang“. Jetzt wird es spannend. „Fangt schon mal mit dem Essen an. Wir sind unterwegs. Kalle geht es gut. Der Karman läuft wieder. Wir sind in circa 45 Minuten bei euch“, verliert Wolfgang kein Wort zu viel. Ich bin mehr als erleichtert. Aber, wie geht das denn: Rad ab und auf und davon, Radmuttern weg, Radaufhängung und Bremse auf dem Asphalt??? Ich bin sprach- und irgendwie fassungslos. Da fällt mir nur eines der Kölsche Grundgesetze ein: Et hät noch emme jootjejange (Es ist noch immer gut gegangen). Aber wie?

Als Kalle begleitet von Wolfgang und Beate ins Restaurant kommt, brandet spontan Beifall auf. Alle sind erleichtert, dass dieser prekäre Zwischenfall offenbar doch glimpflicher als gedacht ausgegangen ist. Ohne Kranken- und Abschleppwagen, ohne Gelbe Engel, ohne all das, was sich so jeder im eigenen Hinterstübchen vorgestellt und ausgemalt hat.
Während Wolfgang und Beate auf ihre Vorspeisen warten, holen sie mich aus dem Tal der Ahnungslosen heraus und schildern, was sich mit Kalle auf der Nockalmstraße zugetragen hat. Wolfgang fuhr, Gott sei Dank, direkt hinter Kalle. Irgendwann begann das linke Hinterrad des Karman Ghias ein schlingerndes Eigenleben zu entwickeln. Und dann war es auch schon ab. Doch statt der Gravitation und dem steil abfallenden Abhang zu folgen, verkantete sich das lose Rad im Radkasten. Lest bitte unten den Kommentar von Beate und Wolfgang. Ihre Erinnerung an die Panne von Lucky Kalle ist klarer als meine.

So blieben auch Bremse und Radaufhängung von einem zerstörerischen Knall auf die Straße verschont. Und die Verkettung glücklicher Umstände ging weiter. Die Radkappe blieb wie auch immer auf der Felge. Und in der Radkappe fanden sich alle Radmuttern, die sich jetzt völlig losgelöst fühlten. Puh, mehr Schwein geht nicht in einer solchen Situation. Und ich denke dankbar: „Der liebe Herrgott fährt bestimmt Oldtimer!“

„Ich hab das Rad wieder angeschraubt. Das Ganze hat bis auf ein paar Beulen und Dellen keinen Schaden angerichtet. Kalle kann jetzt erst einmal weiterfahren. Soweit die guten Nachrichten. Ich habe aber auch eine Schlechte. Die Radmuttern sind so verschlissen, dass sie sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder lösen werden“, blickt Wolfgang skeptisch in die Zukunft des alten Osnabrückers. Let’s cross the bridge, when we come to it (Lass uns über die Brücke gehen, wenn wir sie erreichen)“, denke ich und sinniere über eine Lösung des Problems.
Unser Plan: Neue Muttern für Kalle
Die Lösung liegt so nahe, dass wir sie fast übersehen hätten. Wolfgangs Sohn bettreibt einen großen Onlinehandel mit Golf 1-Ersatzteilen. Der kann uns doch einen Satz neue Radmuttern für Kalles Karman besorgen und per Express ins Hotel zum Faaker See schicken. Dann tauschen wir flux die Muttern und alles ist in bester Ordnung. Tja, so sah die vermeintliche Lösung des Problems aus. Aber wir hatten die Rechnung ohne Kalle gemacht.

Wolfgang und ich informieren Kalle freudestrahlend über unsere scheinbar glänzende Idee. Seine Reaktion macht uns sprachlos. Kein „toll“ oder „ihr habt‘s echt drauf“ blafft er nur: „Auf keinen Fall. Die Muttern waren nur nicht richtig festgezogen. Ich brauche keine neuen!!“ Ende der Ansage. Okay, dann müssen wir unseren 80plus Kalle halt zu seinem Glück zwingen. Abends am Hotel tauschen wir die Muttern ohne sein Wissen und haben alle Ruhe.
Lucky Kalle triumphiert
So der geheime Plan des Service-Teams. Aber wieder haben wir die Rechnung ohne Kalles Starrsinn gemacht. Er parkt seinen Karman an jedem Stopp so, dass wir keine Chance haben, an das Rad hinten links zu kommen. Dieses Hase-und-Igel-Spiel nervt irgendwann und irgendwann ist auch die Woche mit den Oldies in Kärnten vorbei. Kalle fährt anschließend noch mit dem Karman Ghia an den Gardasee – mit den verschlissenen Radmuttern. Und wir fahren nach Hause mit den Neuen – ungebraucht. Ach ja, Kalle ist auch wieder ohne Probleme daheim angekommen. Glück muss man haben, aber Bruder Leichtsinn hat seitdem für mich einen neuen Namen – Lucky Kalle!
Rettende Radkappe?
Wir fuhren direkt hinter dem Karman Ghia die Nockalmstrasse kurvig abwärts, in einer Rechtskurve flog eine Radkappe vor unserem Servicewagen nach links über die Strasse in Richtung Abhang. Es folgen fliegende Radmuttern, das linke Hinterrad schlingert und Kalle bleibt rechts am Strassenrand stehen. Zum Glück, das gelöste linke Hinterrad ist im Radkasten stecken geblieben und der Karman Ghia hat sich darauf abgestützt. … Da Wolfgang sich gemerkt hat, wo in etwa die Radmuttern landeten, hat er sie am Strassenrand wieder gefunden und einsammeln wollen … autsch … das war heisser Stahl! Der Wagenheber hob den Karman Ghia an, die fünf Radmuttern waren am Gewinde beschädigt, dennoch konnte Wolfgang das gelöste Hinterrad mit den Muttern noch fest anziehen. Beate suchte inzwischen vergeblich in Hanglage nach der verflogenen Radkappe. Somit fuhren Kalle und wir langsam zum Mittagstreffen nach Gmünd weiter. So haben es die Zeitzeugen erlebt.
Liebe Beate, lieber Wolfgang,
herzlichen Dank für euren Kommentar. Es geht doch nichts über Augenzeugen, die dann auch noch gut erzählen. Und noch besser, ihr habt mir auch noch ein Foto von der Rettungsaktion geschickt. Das füge ich gleich noch ein.