Künstlich schnell: Die leichte Geschichte der Kunststoffkarosserie
Was haben Trabant und Corvette gemeinsam? Richtig geraten: Vier Räder, ein Lenkrad und – überraschenderweise – eine Karosserie aus Kunststoff. Während die Schwaben gerne über ihr „heilig’s Blechle“ reden und Oldtimerfans den Kampf gegen den Rost führen, bietet der glasfaserverstärkte Kunststoff (GFK) seit gut sechs Jahrzehnten eine bemerkenswerte Alternative im Fahrzeugbau. Vom fast rennmäßigen Sportwagen bis zum neuzeitlichen Elektromobil reicht die Palette der Autos, die eine Kunststoffkarosserie tragen.

Vielfalt in Form und Konzept
Die automobile Landschaft mit Kunststoffkarosserien besticht durch ihre Formen- und Farbenvielfalt – ein erfrischender Kontrast zur heutigen Eintönigkeit. Das Spektrum der Konzepte ist beeindruckend: Fahrzeuge mit Front-, Mittel- und Heckmotoren, verschiedenste Motorisierungen und Kühlsysteme sowie diverse Karosserievarianten von Cabriolets über Coupés bis hin zu Limousinen. In der DDR nannte man es „Plaste und Elaste“ – und der Trabant wurde zum prominentesten Vertreter dieser Bauweise im Ostblock.

Pioniere des Kunststoffs
Britische Sportwagenlegende: Marcos
Seit einem halben Jahrhundert setzt die kleine britische Sportwagenschmiede Marcos auf den leichten Baustoff. Der Marcos GT feierte 2023 seinen 50. Geburtstag in einem Design, das die Marke bis zu ihrem Ende im Jahr 2007 prägte.

Schweizer Exoten: Thurner und Kohlmus
Ende der 60er Jahre entwickelten die Schweizer Dieter Kohlmus und Rudolf Thurner einen Sportwagen auf Basis des NSU TT mit Kunststoffkarosserie. Nach ihrer Trennung entstanden zwei separate Modelle: der Thurner RS und der Kohlnus Scirocco. Während von Kohlnus zwischen 1969 und 1973 einige Dutzend Exemplare gebaut wurden, verkaufte Thurner bis 1974 sogar über 120 Fahrzeuge.

Französische Leichtgewichte: Alpine und Renault
Die Fahrzeuge von Jean Rédélé – Alpine A110 und A310 – trugen traditionell Kunststoff-Aufbauten und sind bis heute Kult. Die Erfolge der Alpine A110 bei der Rallye Monte Carlo Anfang der 1970er Jahre begründeten den sportlichen Ruf der Marke. Auch der Urvater aller modernen Vans, der Renault Espace, erhielt eine in Sandwichform „gebackene“ Kunststoffkarosserie. Ebenso trug der Supersportwagen MVS Venturi 260 LM eine Kunststoffhülle – weniger Gewicht bedeutet schließlich mehr Leistung.

Amerikanische Wegbereiter
Amerika war Vorreiter des Kunststoffautos mit unzähligen Kleinserien-Sportwagen. Die Corvette, seit 1954 mit Kunststoff-Karosserie gebaut, ist die amerikanische Sportwagen-Ikone und zugleich der meistgefertigte Plastik-Sportwagen weltweit.

Britische GFK-Revolution

Die Engländer folgten den Amerikanern und setzten im großen Stil auf Kunststoff-Autos. Besonders kleinere Sportwagenmarken wie Lotus, TVR, Ginetta und Marcos erkannten die Vorteile: GFK-Aufbauten ließen sich ohne hohen Infrastrukturaufwand zu günstigen Kosten herstellen. Der Lotus Elan zählt zu den erfolgreichsten Kunststoffsportwagen überhaupt, während Colin Chapman mit dem Lotus Europa den Sprung zum Mittelmotor-Straßensportwagen wagte – eine Tradition, die Lotus bis heute mit den Modellen Elise und Evora fortsetzt.



Deutsche Innovationen
Auch deutsche Hersteller experimentierten mit Kunststoff: BMW setzte beim M1 und später beim Z1 auf Kunststoff-Karosserieteile. Hauptsächlich waren es jedoch Kleinserienhersteller wie Wiesmann, die dem günstigen GFK für ihre Sportwagen den Vorzug gaben.

Nostalgie und Repliken
Kunststoff erfreut sich auch bei Herstellern von Nostalgie-Fahrzeugen und Nachbauten großer Beliebtheit. Beispiele sind der MP Lafer im Stil des MG TD, der Madison im Stil der 30er-Jahre-Sportwagen sowie zahlreiche Nachbauten von AC Cobra und Ferrari-Modellen.

Meilensteine der Kunststoff-Evolution

| Modell | Baujahr (ab) | Material/Typ | Besonderheit |
| Chevrolet Corvette | 1953 | Fiberglas | Erster Serien-Sportwagen mit GFK |
| Lotus Elite | 1957 | Fiberglas-Monocoque | Innovatives Leichtbaukonzept |
| Trabant (P50, 600, 601) | 1958, 1962 | Duroplast | DDR-Klassiker, komplette Außenhaut |
| IFA P 70 | 1955 | Duroplast | Erste Nachkriegs-Kunststoffkarosse |
| Citroën Méhari | 1968 | ABS-Kunststoff | Freizeitauto, abnehmbare Teile |
| Renault Espace | 1984 | Kunststoffpaneele | Erster europäischer Van |
| BMW i3, i8 | 2013/2014 | CFK | Großserien-Elektroautos |

Vorteile von Kunststoff im Automobilbau
Gewichtsvorteil: Kunststoff ist deutlich leichter als Stahl oder Aluminium – ideal für sparsamere und sportlichere Fahrzeuge
Korrosionsbeständigkeit: Kunststoffteile rosten nicht, ein klarer Vorteil bei Alltags- und Freizeitfahrzeugen wie dem Citroën Méhari oder Trabant
Formbarkeit: Komplexe Formen und innovative Karosseriedesigns werden möglich
Sicherheit: In manchen Fällen bieten Kunststoffe bei Unfällen Vorteile durch bessere Energieaufnahme
Flexibilität: Wechselbare Bauteile (z.B. beim Smart) vereinfachen Reparaturen und Individualisierung




Mehr als nur eine Randerscheinung
Autos mit Kunststoffkarosserie sind keine Nischenprodukte, sondern haben die Automobilgeschichte seit den 1950er-Jahren maßgeblich mitgeprägt. Von der legendären Corvette über den Trabant bis hin zu modernen Fahrzeugen wie dem BMW i3 oder VW XL1 reicht die beeindruckende Palette. Mit dem anhaltenden Trend zum Leichtbau werden innovative Kunststoffe auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Automobilindustrie spielen.
