Le Mans 1975: Als die Kunst aufs Gaspedal trat
Die Motoren dröhnen, der Asphalt glüht in der Mittagssonne Frankreichs. Auf der legendären Rennstrecke von Le Mans bereiten sich die Fahrer auf das härteste Ausdauerrennen der Welt vor. Zwischen den silbernen und schwarzen Rennboliden fällt ein Fahrzeug direkt ins Auge, das anders ist als alle anderen: Ein BMW 3.0 CSL in leuchtenden Farben, bemalt von einem der bedeutendsten Künstler seiner Zeit – Alexander Calder.
Was die Zuschauer in diesem Moment noch nicht ahnen: Sie werden Zeugen der Geburt einer Legende. Dieser eine Rennwagen wird der Auftakt zu einer der außergewöhnlichsten Kunstsammlungen der Welt – den BMW Art Cars.

BMW Art Cars: 50 Jahre fahrende Kunstwerke – wenn Automobil auf Kunst trifft
Rollende Skulpturen von Weltrang – das sind die BMW Art Cars. Namen wie Calder, Lichtenstein, Warhol, Hockney, Koons und Rauschenberg haben aus gewöhnlichen Fahrzeugen außergewöhnliche Kunstwerke geschaffen. Seit jenem denkwürdigen Tag 1975 bietet BMW mit den Art Cars eine einzigartige Spielwiese, auf der sich Kunst und Design, Technologie und Innovation, Rennsport und Ingenieurswesen begegnen.
Die Sammlung der inzwischen 20 BMW Art Cars ist mehr als eine Autokollektion – sie ist ein Querschnitt durch die Kunstgeschichte der vergangenen fünf Jahrzehnte. Von Minimalismus über Pop-Art bis hin zu magischem Realismus, Abstraktion, Konzeptkunst und digitaler Kunst spiegelt jedes Fahrzeug die künstlerischen Strömungen seiner Zeit wider.
Die Geburt einer Legende: Alles begann in Le Mans
Die Geschichte der BMW Art Cars beginnt 1975 mit einer visionären Idee. Der französische Kunstauktionator und Privatrennfahrer Hervé Poulain wollte mit einem 440 PS starken BMW 3.0 CSL bei den legendären „24 Stunden von Le Mans“ antreten. Um seinem Fahrzeug besonderen Aufmerksamkeitswert zu verleihen, überredete er seinen Freund, den weltbekannten amerikanischen Künstler Alexander Calder (1898-1976), den Rennwagen farblich zu gestalten.
Der Coup gelang spektakulär. BMW erkannte sofort die Chancen, die in der Kombination von Automobil und zeitgenössischen Künstlern von Weltrang lagen. Was als spontane Idee begann, entwickelte sich zur konsequentesten Verbindung von Automobilen und Kunst überhaupt.

Das Prinzip: Grenzenlose künstlerische Freiheit
Das Konzept der BMW Art Cars folgt einem einfachen, aber revolutionären Prinzip: Ein renommierter Künstler gestaltet ein BMW Fahrzeug – sei es Rennwagen oder Serienmodell – nach seinen völlig eigenen Vorstellungen. Grenzen und Vorgaben gibt es nicht. Diese künstlerische Freiheit führte zu einer außergewöhnlichen Vielfalt: von puren Rennmaschinen über Serienfahrzeuge bis hin zu seltenen Sportwagen, jedes mittels verschiedenster grafischer und künstlerischer Techniken zu einem einzigartigen Kunstwerk transformiert.
Die Pionierzeit: Von Calder bis Warhol
Alexander Calder – Der Wegbereiter (1975)
Das erste BMW Art Car von Alexander Calder sorgte 1975 in Le Mans für Aufsehen und legte den Grundstein für eine beispiellose Sammlung. Der BMW 3.0 CSL musste nach sieben Stunden wegen einer defekten Antriebswelle aufgeben, hatte aber bereits seine Wirkung entfaltet.
Frank Stella – Geometrische Präzision (1976)
Der 1936 geborene Amerikaner Frank Stella, Mitbegründer einer neuen Kunstauffassung durch seine Kombination von Malerei und Skulpturen, gestaltete 1976 einen 3.0 CSL. Sein Design zeichnete sich durch streng geometrische schwarze Strukturen auf weißer Grundlackierung aus.
Roy Lichtenstein – Pop-Art auf Rädern (1977)
Ein Jahr später verwandelte Roy Lichtenstein (1923-1997), Wegbereiter der Pop-Art, einen 320i Turbo für das Rennen an der Sarthe in ein charakteristisches Pop-Art-Kunstwerk.

Andy Warhol – Das Farbspektakel (1979)
1979 gelang BMW ein besonderer Coup: Im Rahmen eines regelrechten Happenings verwandelte Andy Warhol (1928-1987) einen M1 in nur 28 Minuten in ein bemerkenswertes Farbspektakel, das sich vor dem Publikum in Le Mans präsentieren durfte.
Die Entwicklung der Sammlung: Jenseits der Rennstrecke
In den 1980er Jahren bewegte sich die Kollektion weg vom Korsett der Rennfahrzeuge. 1982 widmete sich der österreichische Künstler Ernst Fuchs einem 635 CSi, gefolgt von Robert Rauschenberg (1925-2008) im Jahr 1986. Der amerikanische Maler, Grafiker, Fotograf und Objektkünstler entzog sich mit seinem vielschichtigen Werk der strengen Zuordnung zu einer Stilrichtung.

Besondere Höhepunkte der Sammlung
A. R. Penck und der Z1 (1991)
Unter den herausragenden Exponaten verdient der Z1 besondere Betrachtung, den A. R. Penck 1991 gestaltete. Der verstorbene gebürtige Dresdner zählte zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern aus Deutschland.
David Hockney – Schreiende Farben (1995)
David Hockney, einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, gestaltete 1995 einen 850 CSi in charakteristisch schreienden Farben.
Jenny Holzer – Zurück zu den Wurzeln (1999)
1999 fand das nächste Art Car wieder zurück zu den Wurzeln der Kollektion. Die amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer durfte dem BMW V12 LMR für Le Mans ein unverwechselbares Äußeres verpassen. Dem zweiten Werkswagen gelang mit den Piloten Yannick Dalmas, Joachim Winkelhock und Pierluigi Martini der bislang einzige Sieg für BMW beim französischen Langstreckenklassiker.

Jeff Koons – Grellbunter Auftritt (2010)
Jeff Koons überzog 2010 einen BMW M3 GT2 mit einem charakteristisch grellbunten Farbkleid. Der Rennwagen mit der Startnummer 79 – eine Hommage an den 1979 von Andy Warhol gestalteten BMW M1 – nahm am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teil.
Der Kreis schließt sich: Julie Mehretu und das 20. Art Car
Knapp 50 Jahre nach dem ersten BMW Art Car schloss sich ein Kreis: Schon das erste, 1975 von Alexander Calder entworfene BMW Art Car absolvierte seine Premiere auf dem Circuit de la Sarthe in Le Mans. Julie Mehretus BMW Art Car wurde im Mai 2024 am Centre Pompidou in Paris enthüllt und trat ebenfalls in Le Mans an.
Für die Gestaltung lag Julie Mehretus Intention darin, einen Spielplatz für die Vorstellungskraft zu erschaffen. Ihr Gedanke: Wie könnte das Gemälde aussehen, wenn das Auto durch das Werk hindurchfahren und davon beeinflusst werden würde?
Das 20. BMW Art Car basiert auf dem Farb- und Formenvokabular ihres Gemäldes „Everywhen“: verfremdete Fotografien, gepunktete Raster, neonfarbene Spritzlackierungen und Mehretus ikonische gestische Markierungen. Im Verlauf des kreativen Prozesses wurde dieses Konzept mittels aufwändiger Folierung auf den BMW M Hybrid V8 übertragen.

Ein einzigartiges Erbe
Die BMW Art Car Sammlung feiert 50 Jahre künstlerische Freiheit und visionäre Gestaltung. Dieses Jubiläum wird mit der BMW Art Car World Tour auf allen fünf Kontinenten mit zahlreichen begleitenden Aktionen gewürdigt.
Alle 20 Art Cars sind als Modelle oder auf Plakaten längst Kult und so einzigartig, dass bislang kein anderer Autobauer etwas Vergleichbares auf die Beine gestellt hat. Sie stellen die Höhepunkte im BMW-Museum dar und sorgen in Wanderausstellungen rund um die Welt bis heute regelmäßig für Aufsehen.
Was 1975 als spontane Idee eines französischen Rennfahrers begann, ist heute die exklusivste Autosammlung der Welt – ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Kunst und Automobil eine nahezu perfekte Symbiose eingehen können.
