Zurück in die Vergangenheit – Nideggen wie vor 100 Jahren

Quasi vor der Haustüre darf der Oldtimer-Narr Veranstaltungen genießen, die bei allem journalistischen Respekt als einzigartig zu bezeichnen sind. Das Eifelrennen 1922, die deutsche Targa Florio, feierte zum siebten Mal ein Revival in Nideggen, das einer Zeitreise gleicht. Und diese Zeitreise begeistert auch die internationale Szene: Teilnehmer aus Belgien, den Niederlanden und auch der Schweiz wurden in Nideggen gern willkommen geheißen.

Rund 40 Vorkriegsoldtimer und fünf Motorräder verwandelten die Nideggener Altstadt zum historischen Fahrerlager und verströmten eine wunderbare Atmosphäre. Es war fast wie in einer Zeitkapsel: Frauen und Männer flanierten in zeitgenössischer Mode an den Bentleys, Fords, Lagondas, BMWs, Alvis und Amilcars vorbei, hielten einen freundlichen Plausch mit den Teilnehmern und lauschten den fachkundigen Moderationen von Michael Gries. Zur Mittagszeit platzte Nideggen schier aus allen Nähten und freie Plätze in der Außengastronomie waren begehrt wie die Autogramme von Schirmherrn Horst Lichter. Ob er sich wohl dabei ein wenig nostalgisch an seine Zeit in seiner Oldiethek erinnerte, die keine 60 Kilometer von der „Zeitkapsel“ Nideggen entfernt bei Rommerskirchen lag.

Draußen vor dem historischen Zülpicher Stadttor, durch das das Eifelrennen 1922 gestartet wurde, gaben sich die jüngeren, sprich Nachkriegs-Oldtimer, ein munteres Stelldichein. Wenn die tollkühnen Männer und Frauen in ihren teils gewaltigen, teils unheimlich zierlichen Renn- und Sportwagen an den Zuschauern am Straßenrand vorbeidonnerten und knatterten wie vor 100 Jahren, bewies so mancher Fan seine Fachkenntnis: „Da kommt ein BMW 328 von 1935!“ Respekt, alles aus dem Kopf und ohne Programmheft in der Hand.

Das legendäre Eifelrennen von Nideggen:
Als die Motoren durch die stillen Eifeldörfer donnerten

Stellt euch vor: Es ist die Nacht zum 15. Juli 1922, und in dem beschaulichen Eifelstädtchen Nideggen herrscht ein Riesentrubel wie nie zuvor. Zu Tausenden strömen Menschen aus Aachen, Köln und von weiter her in den kleinen Luftkurort. Die wenigsten haben ein Quartier, aber viele kommen auf Pferdefuhrwerken, mit Bierfässern drauf und mit Musik. Was war der Grund für diese außergewöhnliche Aufregung? Am Morgen sollte die erste Eifelrundfahrt für Autos und Motorräder starten – ein Ereignis, das durchaus als Geburtsstunde des deutschen Rundstreckenrennsports gelten kann.

Im Frühjahr 1922 hatte die Gauversammlung des ADAC-Gau IV auf Vorschlag des Sportleiters Max Schleh einen kühnen Beschluss gefasst. Schleh hatte eine 33 Kilometer lange Rundstrecke um Nideggen ausfindig gemacht und schlug vor, hier eine „Eifelrundfahrt“ zu veranstalten. In ihren kühnsten Träumen hätten die Verantwortlichen wohl nicht daran gedacht, zu welch internationaler Bedeutung diese Eifelrundfahrt für den deutschen Motorsport werden würde. Nach Besprechungen mit dem motorsportfreundlichen Landrat des Kreises Schleiden, Graf von Spee, fand der ungewöhnliche Plan, dieses Rennen durch sieben Ortschaften zu veranstalten, freundliche Aufnahme.

Am Morgen des 15. Juli 1922 war es dann soweit: Auf dem Parkplatz der Burg Nideggen startete das erste ADAC Eifelrennen. Was als motorsportliches Experiment begann, sollte sich zu einem der bedeutendsten Rennereignisse Deutschlands entwickeln. Reicher Flaggenschmuck säumte die ganze Rundstrecke, ungeheure Menschenmassen engten die Rennstraße ein, die donnernden Motoren und nicht zuletzt die typisch rheinische Begeisterung prägten den grandiosen Erfolg der Premiere.

Eine Strecke wie keine andere

Die 33,2 Kilometer lange Rundstrecke war ein wahres Spektakel für Fahrer und Zuschauer gleichermaßen. Mit 86 Kurven und ein Höhenunterschied von 265 Metern glich sie der berühmten Targa Florio in Sizilien. Das Rennen begann und endete an der historischen Burg oberhalb von Nideggen. Von dort führte die Route durch die mittelalterliche Altstadt, teils über Kopfsteinpflaster, dann südlich nach Wollersheim über die ersten schnellen Talstraßenpassagen. Weiter ging es Richtung Südwesten über gewundene Straßen nach Vlatten mit einem Wechsel aus Kurven und Geraden, bevor die Strecke in nördliche Richtung ins Rurtal nach Heimbach führte – eine spektakuläre Abfahrt, die bei Nässe besonders rutschig werden konnte.

Der anspruchsvollste Teil begann von Heimbach aus: erneut südlich nach Hasenfeld, wo die gefürchteten steilen Anstiege begannen. Zwischen Hasenfeld und Schmidt warteten besonders kurvige und steile Passagen bergauf auf die Fahrer – Schmidt markierte den höchsten Punkt der Strecke. Von dort führte die Route über die Höhenzüge der Eifel in Richtung Brück, bevor es in einer letzten Abfahrt zurück zum Start- und Zielbereich an der Burg Nideggen ging. Die hauptsächlich aus Schotter- und Naturstraßen bestehende Route war nur teilweise befestigt und führte durch enge Waldstücke sowie entlang von Felshängen und Aussichtspunkten der Rureifel.

Was die Strecke so besonders und zugleich so gefährlich machte, war ihre Kombination aus technischen Herausforderungen und landschaftlicher Schönheit. Viele Passagen führten durch ungesicherte Abschnitte in den Dörfern, wo Zuschauer oft gefährlich nah an der Fahrbahn standen. Der Wechsel aus schnellen Bergabpassagen, steilen Anstiegen und engen Kurven forderte von den Fahrern alles ab und machte jeden Kilometer zu einem Abenteuer.

Die goldenen Jahre 1924-1926

Nach dem erfolgreichen Start 1922 etablierten sich die Eifelrennen schnell als bedeutendes motorsportliches Ereignis. Ein Jahr später ließen die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen und die damit einhergehenden politischen Schwierigkeiten kein Rennen zu. Das Rennen von 1924 am 19. Juli war dann geprägt von dramatischen Wetterbedingungen und schrieb Motorsportgeschichte. Über eine Distanz von 332 Kilometern, aufgeteilt in zehn Runden à 33,2 Kilometer, kämpften die Piloten gegen die Strecke und die Elemente. Der erste Renntag stand unter dem Zeichen von starkem Regen, danach wurde es extrem staubig. Trotz dieser widrigen Umstände setzte sich Rudolf Caracciola auf seinem Mercedes 1,5-Liter Kompressor durch – ein Name, der später zu den ganz Großen des Motorsports gehören und für immer mit der Eifel verbunden bleiben sollte.

Das dritte Eifelrennen 1925 brachte mit Gustav Münz einen lokalen Helden hervor, der die Herzen der Zuschauer im Sturm eroberte. Der Fahrer auf Ford zeigte trotz technischer Defekte enorme Durchhaltekraft und schaffte es trotz erheblicher Schäden ins Ziel, auch wenn der große Erfolg noch ausblieb. Das Rennen hatte sich mittlerweile zu einem wahren Volksfest mit Stadtfest-Atmosphäre entwickelt und zog tausende Besucher von weit her an. Die gesamte Region profitierte wirtschaftlich von dem Ereignis, das weit mehr war als nur ein Rennen – es war ein gesellschaftliches Großereignis mit Märkten und Festen auf der Burg Nideggen.

Das vierte und letzte Eifelrennen auf der Nideggener Strecke fand 1926 statt und sollte ein dramatisches Finale werden. Gustav Münz fuhr diesmal im Ford als Erster ins Ziel, wurde jedoch nachträglich nicht als offizieller Sieger geführt – die genauen Gründe dafür sind bis heute nicht abschließend dokumentiert und geben der Motorsportgeschichte ein weiteres ungelöstes Rätsel auf. Viel schwerwiegender waren jedoch die schweren Unfälle und sogar ein Tribüneneinsturz mit Todesfolge, die das Schicksal der Veranstaltung in Nideggen besiegelten.

Das Ende einer Ära und der Beginn einer neuen

Die engen Straßen und schwierigen Kurven, die den Reiz der Eifelrennen ausmachten, erwiesen sich letztendlich als zu gefährlich für den modernen Motorsport. Die tragischen Ereignisse von 1926 machten deutlich, dass neue Sicherheitsstandards und eine speziell gebaute Rennstrecke nötig waren. So fiel die Entscheidung, das Rennen ab 1927 auf dem neuen Nürburgring auszutragen – eine Entwicklung, die ironischerweise durch den Erfolg der Nideggener Rennen erst möglich geworden war. Die Eifelrennen hatten gezeigt, dass Deutschland einen Appetit auf Motorsport hatte und dass die Region Eifel das perfekte Terrain dafür bot.

Die vier Jahre der Eifelrennen in Nideggen verkörperten den Pioniergeist der frühen Automobilzeit und förderten die Entwicklung der Automobiltechnik erheblich. Hier wurden Grenzen ausgelotet und Innovationen getestet, die später in die Serienproduktion einflossen. Die Kombination aus mittelalterlicher Architektur, tiefen Wäldern und sanften Hügeln hatte eine einzigartige Kulisse geboten, die jede Runde zu einem visuellen und emotionalen Erlebnis machte.

Das Erbe lebt weiter

Heute, mehr als 100 Jahre nach den ersten Eifelrennen, lebt die Tradition in Form der Eifelrundfahrt1922 weiter. Diese moderne Interpretation der historischen Rennen knüpft bewusst an die große Vergangenheit an und richtet sich ausschließlich an Fahrer von Vorkriegsfahrzeugen – Autos und Motorräder, die in der gleichen Ära gebaut wurden wie die legendären Rennmaschinen von einst. Die Veranstaltung wird regelmäßig von Oldtimerclubs und dem MSC Burgring Nideggen organisiert und führt über große Teile der ehemaligen Rennstrecke.

Anders als ihre historischen Vorbilder ist die Eifelrundfahrt 1922 als touristische Ausfahrt konzipiert, bei der das historische Flair im Vordergrund steht. Die etwa 33 Kilometer lange Runde auf der historischen Rennstrecke mit ihren charakteristischen 86 Kurven und 265 Metern Höhenunterschied bietet den Teilnehmern die einmalige Gelegenheit, Geschichte hautnah zu erleben.

Hier geht’s zu einem kleinen Videoschnipsel https://youtu.be/8Qp3d6u4kTM?si=4fCDyIGf7cosHnIf

Der Motorsportclub Burgring Nideggen bringt einmal im Jahr das historische Motorsportflair nach Nideggen zurück. Herzlichen Dank an den rührigen Verein für diese tolle Veranstaltung!

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert