Michel Vaillant: Der nie alternde Superheld der Rennstrecke

© aller Abbildungen bei Carlsen / Dargaud / Dupuis / Ehapa / Koralle / Graton Editeur / Lombard / Mosaik / Novedi / Seven Island

Stell dir vor: Es ist 1957, die Welt ist im Rennfieber. Autos werden schneller, Strecken gefährlicher, und ein junger belgischer Zeichner namens Jean Graton träumt davon, selbst hinter dem Steuer eines Rennwagens zu sitzen. Da er diesen Traum nicht verwirklichen kann, erschafft er kurzerhand den perfekten Rennfahrer auf Papier – Michel Vaillant. Er ahnt nicht, dass er damit eine der langlebigsten und einflussreichsten Comic-Serien Europas ins Leben ruft.

Als Kind hielt ich irgendwann und ich weiß nicht mehr wo und warum, einen Michel Vaillant-Comic in Händen und hab ihn verschlungen und gehütet wie meinen Augapfel. Ich war total fasziniert, heute würde man eher sagen ‚geflasht‘ von der Story und dem ‚Gesamtkunstwerk‘. Dabei hielt ich als ahnungsloser Steppke das Ganze auch noch für wahr – es gab ja die Vaillant-Werke! Dass diese Heinzungen und keine Rennwagen herstellten, hat sich erst viel später zu mir rumgesprochen. In unserem kleinen Dorf konnte mir keiner der beiden damaligen Zeitungsläden neue Michel Vaillant-Hefte besorgen. Und der einzige Buchhändler in der nächsten Stadt auch nicht: Comics hatten damals noch einen zweifelhaften Ruf in unserer Literaturgesellschaft. Es war damals auf dem Land ganz schön schwierig, an Michel Vaillant und seinen Abenteuern dran zu bleiben. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich heute noch, jenseits der Mitte 60, diese Comics für etwas ganz Besonderes halte.

Michel Vaillant ist seit fast sieben Jahrzehnten der wahrscheinlich beste Rennfahrer der Welt – und altert nicht. Er wurde erschaffen von einem, der sein wollte wie er. Der Belgier Jean Graton schuf mit der Comic-Figur Michel Vaillant den idealen Rennfahrer, den sich bis heute alle Teamchefs wünschen: Leidenschaftlich wie ein Ayrton Senna, sportlich fair wie der Australier Jack Brabham, mit einer Grundschnelligkeit ausgestattet wie der Kanadier Jacques Villeneuve und erfolgreich wie unser Michael Schumacher.

Von skeptischen Verlegern zum Comic-Klassiker
Als Graton den Verlegern von Tintin (bei uns besser bekannt als Tim und Struppi) seinen motorsportbegeisterten Helden vorschlägt, erntet er zunächst Stirnrunzeln. „Nach dreimal im Kreis fahren ist die Geschichte doch auserzählt“, befürchten sie. Wie falsch sie doch lagen!

Nach fünf Kurzgeschichten erscheint 1958 das erste vollständige Album „Duell auf der Piste“ – der Startschuss für eine Serie, die bis heute über 70 Alben umfasst und Generationen von Comic-Fans und Motorsport-Enthusiasten in ihren Bann zieht.

Der Schwiegersohn-Typ im Rennoverall
Was macht Michel Vaillant so besonders? Er ist der Rennfahrer, von dem Teamchefs träumen und Mütter sich wünschen, dass ihre Töchter ihn nach Hause bringen. Leidenschaftlich wie Senna, fair wie Stewart, schnell wie Villeneuve und erfolgreich wie Schumacher – Michel verkörpert alle Tugenden eines Spitzenfahrers und eines vorbildlichen Menschen.

Er fährt nicht nur um zu gewinnen, sondern vor allem, um es richtig zu machen. Michel würde eher einen Sieg aufgeben, als mit unfairen Mitteln zu triumphieren. Er respektiert seine Eltern, trägt sein Herz am rechten Fleck und ist der weiße Ritter im blauen Rennanzug.

Damit das Ganze nicht zu brav wird, steht ihm sein bester Freund Steve Warson zur Seite – ein amerikanischer Hitzkopf mit Händen, die genauso schnell am Lenkrad wie bei den Damen sind. Während Michel der Inbegriff des Anstands ist, darf Steve all das ausleben, was Michel verwehrt bleibt.

„VROOOAAAM! ROAP! ROAP! ROAP!“
So klingt es, wenn die beiden über die gezeichneten Rennstrecken dieser Welt jagen – von Monaco bis Indianapolis, von Le Mans bis zur Dakar-Rallye. Kein Wunder, dass selbst der vierfache Formel-1-Weltmeister Alain Prost zugibt: „Michel Vaillant hat mir ein unschätzbares Geschenk gemacht und mir die Tür zum Rennsport geöffnet.“

Die Familie als Boxenstopp fürs Herz
Hinter jedem großen Mann steht eine große Familie – oder in Michels Fall eine richtig große Comic-Familie:

  • Papa Henri, der Chef der Vaillant-Werke, wo sowohl Straßenfahrzeuge als auch Rennboliden entstehen
  • Mama Vaillant, das emotionale Kraftzentrum, die ihren erwachsenen Sohn nachts noch zudecken kommt (ja, wirklich!)
  • Bruder Jean-Pierre, der vom Rennfahrer zum genialen Chefkonstrukteur aufsteigt
  • Kumpel Steve, der amerikanische Cowboy der Rennstrecke

Und dann sind da noch die Bösewichte vom Team „Leader“, angeführt von einem Schurken, der aussieht, als hätte er sich für einen James-Bond-Film beworben und eine Absage kassiert.

Vom braven Held zum komplexen Charakter
In den 1950er Jahren war Michel noch der makellose Held ohne Ecken und Kanten. Er alterte nicht, zweifelte nicht und machte praktisch keine Fehler. Genauso wie Jean Graton sich selbst gerne gesehen hätte – gutaussehend, athletisch, schnell und durch und durch anständig.

Doch mit der Zeit wurde auch Michel menschlicher. Unter der Führung von Philippe Graton, Jeans Sohn, erlebte die Serie 2012 einen Neustart. Michel zeigt nun auch Schwächen, trifft falsche Entscheidungen und muss mit den Herausforderungen des modernen Rennsports und des Lebens kämpfen. Von der Elektromobilität bis zu komplexen Familienbeziehungen – Michel Vaillant ist im 21. Jahrhundert angekommen.

Mehr als nur Comics
Wusstest du, dass der Star-Designer Luc Donckerwolke, der für Lamborghini den legendären Murciélago und den Gallardo entworfen hat, seit 1990 die Autos für Michel Vaillant zeichnet? Als begeisterter Fan besuchte er damals den 25-jährigen Jean Graton und bot seine Dienste an – ein Hobby, das er bis heute nicht aufgegeben hat.

Auch der Schweizer Rennfahrer Alain Menu, der 2012 sogar als „Michel Vaillant“ verkleidet an einem WTCC-Rennen teilnahm, gesteht: „Als Kind las ich die Comics immer und immer wieder. Vielleicht inspirierte mich das sogar dazu, selbst Rennfahrer zu werden.“

Volles Risiko, volle Dramatik!
Was wäre ein Renncomic ohne Action? Die Titel versprechen nicht zu viel: „Duell auf der Piste“, „Das Finale um Mitternacht“, „Das Rätsel der S-Kurve“, „Der Fluch der Piste“ oder „Den Tod vor Augen“ – hier ist jede Seite „ganz großes Kino“, wie Graton es selbst beschreibt.

Während ein echter Rennfilm Millionen verschlingt, braucht der Comic nur „etwas Bleistiftwitz“, um uns mitten ins Geschehen zu katapultieren. Die aufwändigen Recherchen, die Jean Graton für jede Rennstrecke und jedes technische Detail betrieb, machen die Alben zu einem faszinierenden Zeitdokument der Motorsportgeschichte.

Der nächste Boxenstopp wartet schon
Michel Vaillant rast auch nach mehr als sechs Jahrzehnten weiter über die Comicseiten. Die Serie wird mit neuen Zeichnern und frischen Geschichten fortgesetzt, wobei die „Saison 2“ und die „Legenden“-Reihe klassische Motive neu interpretieren.

Ob du nun Motorsportfan bist oder einfach nur packende Geschichten liebst – Michel Vaillant bietet beides. Also, schnall dich an und tauche ein in die Welt des schnellsten Comic-Helden auf vier Rädern!

Und denk daran: Im wahren Leben solltest du langsamer fahren als Michel Vaillant. Schließlich kann nicht jeder von uns gleich nach einem spektakulären Überschlag wieder ins Rennen einsteigen – zumindest nicht ohne einen Zeichner, der es so will!

© aller Abbildungen bei Carlsen / Dargaud / Dupuis / Ehapa / Koralle / Graton Editeur / Lombard / Mosaik / Novedi / Seven Island

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